Der November beschenkte die Mitglieder des Euroclub Dénia mit einer Überraschung aus Deutschland. 40 junge Kreative aus München hatten das Rentnerparadies an der Costa Blanca ins Visier genommen und reisten mit einer Vielfalt gestalterischer Projekte und Ideen im Gepäck an.
Es sollte um Farbe und Abstraktion gehen, um zeichnerische Experimente, Collagen und kreatives Schreiben und um inszenierte Fotografie. Und das Ganze angekündigt als intergeneratives Miteinander – also ein Austausch junger Menschen um die 17 Jahre, ihrer Lebensvorstellungen, mit denen der Senioren. Es wurde zusammen gedacht, auch gelacht, es wurden Ideen entwickelt und wieder verworfen, es wurde weggeworfen und wieder neu angefangen. Eine weitere Gruppe ging zusammen in die Natur, ans Meer, in die Altstadt, um Fotos und einen Kurzfilm zu produzieren.
Neu für die jungen Menschen war die Erfahrung, selbst die Leitung eines Workshops in die Hand zu nehmen. Im kommenden Jahr 2024 werden sie alle ihr Abitur oder Fachabitur ablegen und anschließend ins Berufsleben einsteigen. Also, ein guter Moment, im Ausland zu schnuppern und den Horizont zu erweitern. Das Projekt wurde durch Erasmus+ finanziert und von der Stadt Dénia unterstützt.
Während der Workshops entwickelten sich immer wieder teils tiefe Gespräche über das Leben und Entscheidungswege, über Liebe, Alter und Tod. Die ältere Generation hatte viel zu erzählen und natürlich auch zu fragen. Lebenslinien, ‑erfahrungen und ‑wünsche standen im Mittelpunkt der zwei Wochen.
Inhaltlich, so hatte die Schulleitung angekündigt, sollte sich das künstlerische Treiben rund um das große Thema „Liebe“ drehen. Die Schüler und Schülerinnen hatten ein umfangreiches Interview erarbeitet und wollten wissen, wie Senioren über die großen Fragen des Lebens denken und wie sie mit diesen umgehen. Und die Fragen hatten es in sich. Wie hat die erste Liebe das Leben geprägt? Was hat im Leben gut und was hat weniger gut funktioniert und warum? Wie wird man mit Tiefs und Versagen fertig? Wie lebt es sich heute und wie damals im Vergleich, als das Leben noch von Arbeit und Erziehung der Kinder geprägt war? Wie hat man Mutterliebe erfahren und wie hat sie das Leben geprägt? Was bedeutet es, älter zu werden? Schließlich die Frage nach dem Lebensende. Wie wird der Tod sein und welchen Stellenwert hat dabei die Sterbehilfe? Diese Fragen wurden sehr vorsichtig, fast schon entschuldigend gestellt. Niemand der Senioren hatte mit so etwas gerechnet. Es war ein ungewöhnlicher Moment, der dazu geführt hat, sich zu reflektieren und diese Fragen auch an die junge Generation weiterzureichen. „Ich bin froh, dass ich nicht mehr 20 bin, weil ich diesen Prozess noch vor mir hätte. Die jungen Leute hinterfragen viel mehr als ich damals. Ich war viel unbekümmerter“, fasste Elisabeth Bardill ihre Erfahrung zusammen.
Für die zweite Woche war dann ein Theater-Workshop vorgesehen. Das Thema hieß „Paradies“ und es ging darum, einen Moment im Leben spielerisch darzustellen, der paradiesisch angemutet hat. Ein Zweierteam aus Jung und Alt sollte diese Geschichte zunächst aufschreiben und sich anschließend überlegen, mit welchen Mitteln sie den Zuschauern diesen Moment nahebringen und welche Gefühle dazu dargestellt werden können. Am Ende entstanden daraus kleine Theaterstückchen, die sich um einen besonderen Urlaub, um eine Freundschaft fürs Leben, einen riskanten Fahrradausflug und ein außergewöhnliches Taucherlebnis mit Haien drehten. Am Nachmittag waren dann die Schüler und Schülerinnen mit ihrer persönlichen Vision vom Paradies an der Reihe. Begleitet von einem Partner aus der älteren Generation.
„Was uns wichtig war, das ist ein lebendiger Austausch ohne digitales Leben. Einfach mal ohne Handy. Mensch zu Mensch. Zuhören, Fragen stellen“, sagte Martina Kändler. Die Lehrerin für Kunst und Gestaltung ist sogar ein wenig stolz, dass alle den Seitenwechsel zum Workshopleiter gut gemeistert hatten.
„Was mir sehr gut gefallen hat, das ist die Aufgeschlossenheit der jungen Menschen. Sie gehen miteinander sensibel um, aber auch mit uns. Das war sehr schön“, so Heidemarie Causemann. Sie hat alle Angebote des Workshops wahrgenommen. Ähnlich sah es Klaus Tornsäufer. „Ich war aber auch überrascht, dass sich die jungen Menschen für die ältere Generation interessieren. Die Offenheit ist wirklich toll! Und ich habe in dieser Zeit wieder einmal etwas Neues für mich entdeckt.“
Für das ‚Neue‘ hatte die Stadt Dénia nach dem Workshop den ersten Stock ihrer Bibliothek als Ausstellungsraum zur Verfügung gestellt. Die Vernissage zeigte viele einzigartige Foto‑, Film‑, Zeichen- und Farbexperimente. Und außerdem war es ein bisschen so, als würde man liebgewonnene Freunde treffen. Die gemeinsamen Stunden hatten eine sehr familiäre Atmosphäre gezaubert und ein unsichtbares Band zwischen Jung und Alt geknüpft. Am Ende standen leuchtende Augen – sowohl bei den jungen Kreativen, als auch bei unseren Club-Senioren.
„Ich bin mit keinen Erwartungen gekommen, aber ich bin sehr positiv überrascht von diesem Dialog. Das ist auf jeden Fall wiederholenswert. Ganz, ganz sicher!“ Ein Fazit, das beide Generationen übereinstimmend gezogen haben.
Elisabeth Neumann-Wiefel
Aufnahmen: Aloys Kolbeck/Gisela Glaser